Dienstag, 2. März 2010

Kriminelle Vereinigung? Psychosekte? - Was ist der Jesuitenorden?

Der Jesuitengeneral Adolfo Nicolás SJ in Rom hat den Pater Stefan Kiechle SJ (Bild links) zum neuen "Provinzial" der "Deutschen Provinz" des Ordens der Jesuiten ernannt. (Jesuiten.de) Dieser Herr Kiechle ist also nicht demokratisch gewählt, sondern monarchisch-hierarchisch von oben, von Rom aus eingesetzt worden nach absolutistisch-mittelalterlichen Prinzipien. Der Sitz des sogenannten "Provinzials" der sogenannten "Deutschen Provinz" des Ordens der Jesuiten befindet sich in der bayerischen Landeshauptstadt München.

Die Stadt München wird hocherfreut sein, in sich den Hauptsitz eines "Staates im Staate", einer Organisation zu beherbergen, von der viele mit allzu viel Grund meinen, sie sei eine Psychosekte. Links die Abbildung des künftigen deutschen Oberhauptes einer Organisation, von der viele schon seit Jahrhunderten meinen, sie sei eine ähnlich gefährliche Psychosekte, wie etwa die Sekte "Scientology".

Selbstbezogene Worte des neuen Jesuiten-Oberen

Die ersten Worte dieses Herrn Kiechle (a, b, c), der zehn Jahre lang als "Novizenmeister" neu in den Orden aufgenommene Mitglieder anleitete und auswählte, und der sich auch in einer positiven Außendarstellung des Jesuitenordens durch Buchveröffentlichungen hervorgetan hat, lauten:
Wir Jesuiten werden nach den schweren Erschütterungen der letzten Wochen hart arbeiten müssen, um das Vertrauen, das wir auch in der Krise gespürt haben, neu zu rechtfertigen. Wir sind gut beraten, uns dabei auf den Kern unserer Sendung in der Kirche und unseres jesuitischen Erbes zu konzentrieren: In der Nachfolge Jesu den Menschen zu helfen als glaubwürdige und authentische Seelsorger.
Das sind viel gehörte, selbstbezogene Worte. Im Mittelpunkt dieser Worte steht der Jesuitenorden, der in der "Krise" ist, stehen nicht die Opfer, die ja wohl doch die eigentliche Krise zu durchleiden haben. Es ist nicht die Rede von einem Jesuitenorden, der Jahrzehnte lang gegen deutsche Strafgesetze verstoßen hat, indem er ihm bekannte Straftaten nicht den deutschen Behörden gemeldet hat, und der dadurch die Leiden seiner Opfer vervielfältigt hat, und von dem viele meinen, er sollte nicht zuletzt deshalb als kriminelle Vereinigung schlicht verboten werden. (Es wäre nicht das erste mal in seiner Geschichte. Er ist auch vom Papst selbst schon verboten worden.)

Schon im allerersten Ansatz scheint also Herr Kiechle un-"glaubwürdig" und un-"authentisch" zu wirken. Auch auf Treffen von Ordensleuten in Österreich hat er schon Ansprachen gehalten, wie man aus Netzrecherchen erfährt. Wer möchte denn auf solche Treffen überhaupt hingehen? Männlein und Weiblein, allesamt zölibatär lebend und sich gegenseitig beweihräuchernd, was für ein "gottgesegnetes" Leben sie führen würden: Gruselig!

Opfer werfen der katholischen Kirche "Falschheit" vor

Die Opfer selbst äußern sich nun schlichtweg ganz anders als die offiziellen Verlautbarungen einer Organisation, von der viele meinen, daß sie alle Kriterien einer Psychosekte auf sich vereinigt (etwa: Geheimhaltung, Gehorsam, hierarchische, straffe Gliederung, Schaffen von emotionalen und wirtschaflichen Abhängigkeitsverhältnissen, mittelalterliche, archaische Moral, eigene, autonome Gesetzgebung und Strafverfolgung, mehrere Gurus, die angebetet werden ...).

Der "Verein ehemaliger Heimkinder e.V." macht darauf aufmerksam, daß von seinen 450 Mitgliedern, von denen 80 Prozent in katholischen Heimen aufgewachsen sind, 70 Prozent sexuell mißbraucht worden sind, daß also die Mißbrauchsraten viel höher sind, als bislang angegeben und vorausgesetzt worden ist (Bad. Ztg., 2.3., Berl. Ztg., 2.3.):
Monika Tschapek-Güntner warf der Katholischen Kirche "Falschheit" vor. Zwar wolle die Kirche den Eindruck erwecken, die Missbrauchsfälle aufklären zu wollen, jahrelang habe sie Opfer aber unter Druck gesetzt oder mit Geld zum Schweigen gebracht. "Da wird die Decke der Verschwiegenheit ausgebreitet. Das ist grausam und das halten wir kaum aus."
Immense Wut und Enttäuschung über die Bischofskonferenz auf Seiten der Opfer

Ein Opfer des Canisius-Kollegs in Berlin, M. Z., äußert sich erstmals ausführlicher (Zeit, 1.3., auch im Tagesspiegel), wobei er auch auf die therapeutisch hilfreichen Diskussionen auf dem Blog "Spreeblick" Bezug nimmt, die von "Ex-"Jesuiten kaputt gemacht worden sind, und seither von niemanden, auch nicht von Jesuiten wiederbelebt worden sind, obwohl der Schreiber dieser Zeilen dies einem Jesuitenpater gegenüber persönlich anregte, wenn dieser Orden glaubwürdig sein will:
Jetzt nach der Bischofskonferenz sei da diese immense Wut und Enttäuschung: "Es sind nicht nur Einzeltäter. In den Erklärungen der ‚Täterorganisation‘ vermisse ich ein Wort: Verantwortung. Wer übernimmt sie für das Vertuschen der Taten, die vor 30 Jahren mein Leben und das vieler anderer verletzt haben? Wir haben unseren Mund aufgemacht und werden wieder einfach nur stehen gelassen."
Nach der Entschuldigung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, hat sich M.Z. in einem offenen Brief an die kirchlichen Institutionen gewandt. Von Scham und Schande zu sprechen, sei nicht genug. "Was der Orden und die Kirche damit zu tun haben? Als 13-Jähriger glaubte ich, dass der Pater im Namen der Kirche spräche, der erklärte, mir helfen zu wollen, nicht der ,Sünde‘ der Masturbation' anheimzufallen. Das war der Vertrauensvorschuss, der die Taten erst ermöglichte. Deshalb klagen wir nicht nur die Täter, sondern auch die Kirche an. Sie sind schuldig geworden durch Wegsehen, Vertuschen und Verschweigen."

M.Z. ist gläubiger Katholik. Wer mit ihm spricht, vernimmt die klaren Worte eines Mannes, der sich gewappnet hat. Auch für das Gespräch, weil er sich entschieden hat, doch zu sprechen, obwohl da die Angst ist, zu viel zu sagen, sich zu sehr zu öffnen. M.Z. ist ein sanfter Mensch. "Seit vier Wochen laufen in ganz Deutschland Hunderte Betroffene herum, denen es so geht wie mir." Sie stehen unter extremer, nervlicher Anspannung, was aber kein Wunder sei, wenn nach so langer Zeit der Deckel vom Topf genommen werde und alles wieder da sei. "Es gibt Partner, Kinder und Eltern, die jetzt zum ersten Mal von ihren Ehemännern und Vätern von dem Missbrauch erfahren haben." Es sei ein Ausnahmezustand in der kleinen West-Berliner Katholiken Diaspora von damals, weil es fast jeden betreffe. "Man legt sich Zügel an, die Jahre streichen vorbei, und die Stille dämpft das Gefühl. Dann schlägt man die Zeitung auf und liest seine Geschichte. Plötzlich ist da die Erinnerung", sagt M.Z.

Damit nicht alleine zu sein, sei wichtig geworden. Auch, um endlich das Gruppenschweigen der vielen missbrauchten Generationen zu brechen. Eine erste Anlaufstelle sei im Januar das Forum der Spreeblick-Seite von Johnny Haeusler, einem ehemaligen Canisius-Schüler, gewesen. „Das war Therapie, Erinnerungsaufarbeitung und Selbsthilfegruppe in einem.“ Geschützt durchs Netz hätten sich dort 60-Jährige mit 40-Jährigen und gegenwärtigen Schülern vom Canisius-Kolleg ausgetauscht. Man habe rekonstruiert: die Jahre, die Bilder, die Orte, die Gruppen, und sich erzählt, dass es Familien gegeben habe, die zum Rektor gegangen seien und mit den Worten, „dass der Patres den pubertierenden Kindern helfen wolle“, abgebügelt worden seien.

Im Blog finden sich an die 500 Einträge, die einen Einblick hinter die Kulissen des Canisius-Kollegs gewähren. (...)

M.Z. hat seinen Eltern nichts gesagt. „Da ist etwas, das geht mit dem Missbrauch zusammen. Man ist emotional abhängig und fühlt sich selbst schuld an der Lage. Dann wird akzeptiert und verdrängt.“ Im Gegensatz zu Täter-Pater Wolfgang S., der seine Schüler einzeln zu sich gerufen habe, habe Peter R. die Methode des charismatischen Lehrers verfolgt, der seine Schüler wie Jünger um sich geschart habe. Der Missbrauch sei ein offenes Geheimnis gewesen. „Heute erscheint es mir fast sektenartig, wie er seine Jugendarbeit organisiert hat.“ So hätten es beide Patres geschafft, die Kinder emotional zu verwickeln. „Weil sie eine große Rolle im Leben und Fühlen von uns gespielt haben. Man hat die beiden ja gemocht, sonst wäre man ihnen auch nicht auf den Leim gegangen.“ Und später sei dann die Scham gekommen, die die Täter auch so lange geschützt habe. „Jemand der so nah ist, der sich so in dein Herz geschlichen hat, den kriegt man schwierig wieder heraus. Und das vergiftet später alle Beziehungen, die man hat.“ Neben den körperlichen Schäden und dem Seelenmord sei es vor allem der Vertrauensmissbrauch, der so viel Schaden anrichte.

Die Mandantengruppe von Anwältin Groll ist vernetzt. „Wir sind dabei, uns als Gruppe weiter zu formieren“, sagt M.Z. Er und viele andere seien jetzt vor allem wütend darüber, mit welcher Leichtigkeit den Bischöfen das Wort von der Verzeihung über die Lippen ginge, ohne dass sie darüber nachdenken würden, wie sie den Opfern helfen könnten. (...)

M.Z. erwartet Genugtuung für das Versagen einer Institution, die ihre Kinder nicht beschützt habe. Wiedergutmachung sei der falsche Begriff. „Was zerstört wurde in unserem Leben, lässt sich nicht wiedergutmachen. Aber man kann uns aufklären.“ Nach den ausgebliebenen Zugeständnissen der Bischofskonferenz fordern er und andere Mitstreiter, dass die kirchlichen Institutionen die Verantwortlichen benennen und ihre Archive externen Ermittlern öffnen. „Wer ist heute noch im Amt? Sind sie bereit, darüber zu sprechen? Die Wahrheit könnte uns helfen, die Folgen besser zu verschmerzen und einen neuen Anfang zu machen, wo so viel Leben verdunkelt und zerstört wurde.“ Es solle nicht jeder um seinen eigenen Fall kämpfen müssen. Auch ginge es nicht um die finanzielle Entschädigung einzelner, sondern um eine, die die Kosten der Folgetherapien und der Schäden aller Betroffenen gesammelt tragen würde. Es gehe um ein ernsthaftes Angebot, das ein Exempel statuiere. Ein warmer Händedruck genüge nicht, und einfach einen Haken dran zu machen, sei nicht möglich. „Was ist mit uns, mit denen, die jetzt auf die Bühne getreten sind und mit den Folgen leben? Das Verhalten der Kirche zeigt mir, dass sie immer noch nicht begriffen hat, was Missbrauch mit Kindern, die erwachsen werden, anrichtet. Das braucht es aber, damit sich etwas ändern kann.“
Die auf dem Blog "Spreeblick" von "Ex"-Jesuiten zum Abbruch gebrachte Diskussion geht also dennoch weiter. Weil seelisch gemordete Menschen nach seelischer Lebendigkeit schreien.

Was hat die "Sacro pop"-Entmoralisierung mit dem Seelenmord an Jesuitenschulen zu tun?

Man stellt sich eine Frage: Warum bringen gerade Jesuitenschulen und -internate so viel "Sacro pop" hervor (siehe frühere Beiträge hier auf dem Blog)? - Vielleicht weil so viele ehemalige Jesuitenschüler das "Bedürfnis" haben, den Zustand ihrer eigenen seelischen Gemordetheit zu übertönen? Mit diesem seelischen Mord, der an ihnen begangen ist - vielleicht reicht dazu auch schon die Verinnerlichung niedriger Morallehren über Beichten, Sünde, Schuld, Vergebung - die ganze Menschheit zu "beglücken"? Das Bedürfnis, das was ihnen von "geistlicher" Seite aus angetan worden ist, von der "weltlichen" Fernsehbühne aus allen anderen Menschen auch anzutun?

Der Jesuit Michael Bordt (Bild links) hat schon 2008 ein Buch geschrieben mit dem Titel "Was in der Krise zählt":
Bordt hat den Eindruck, dass die Diskussion in den Medien in die falsche Richtung führt: Sie würde von vielen für einen Generalangriff auf die katholische Kirche missbraucht. Nicht der Umgang der Kirche mit dem Thema Sexualität sei ein Grund für die Missbräuche, so Bordt.
Woher weiß er denn das eigentlich? Warum bringt er keine differenzierten Argumente? Auch er sollte den Opfern besser zuhören, die sich seit Jahrzehnten in der Krise des Seelentodes befinden und nicht mehr wirklich wissen, was für sie noch "zählen" könnte: Wer ist schuld?

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