Donnerstag, 12. Juli 2012

Der Satanismus-verharmlosende Roman "Là-Bas" von J.-K. Huysmans (1891)

Der nicht wenig bekannte Satanismus-Roman "Là-Bas" (1) von Joris-Karl Huysmans (1848 - 1907) erschien zunächst als Fortsetzungsroman in der seriösen katholischen Zeitung "L'Écho de Paris", beginnend mit dem 15. Februar 1891. Inhalt: Ein lebensmüder Schriftsteller hat eine Affaire mit einer lebensmüden Verehrerin seiner Bücher, die sich als Teilnehmerin Schwarzer Messen entpuppt. Nachdem der Schriftsteller sie zu einer solchen begleitet hat und entsetzt ist, bricht er die Beziehung ab. Er hatte sie letztlich nur aufgenommen, weil er selbst gerade an einem Roman über den mittelalterlichen Satanisten Graf Gilles de Rais (1404 - 1440) schrieb. Zu diesem Zweck trifft er sich auch mit anderen Freunden, die gute Kenntnisse über die Geschichte des Okkultismus und Satanismus haben.

Die redaktionelle Notiz, die an den Anfang des Romans gestellt wurde, enthält sicherlich die wesentlichsten Mitteilungen zur richtigen Einschätzung desselben überhaupt (zit. n. 2, S. 355):
Là-Bas, der neue Roman (...) ist die erste wirklichkeitsgetreue und aufgrund authentischer Dokumente erstellte Studie über den Satanismus der Gegenwart.

J. K. Huysmans zeigt uns diabolische Leidenschaften des Mittelalters, die sich in der Person des Marschalls Gilles de Rais, genannt Blaubart, verkörpern - und gleichzeitig läßt er eine in klerikalen Kreisen wohlbekannte Frau von heute auftreten und beschreibt und analysiert ihr frevelhaftes und dämonenbündlerisches Liebesleben.

So seltsam die Berichte erscheinen mögen: Huysmans bürgt für deren unbedingte Wahrhaftigkeit; er bittet uns ferner klarzustellen, daß er, was er uns über die satanistischen Gesellschaften der Gegenwart, über die Wege und Mittel des Sukkubats, über die Praktiken und Methoden der Behexung und der Schwarzen Messe mitteilt - daß er all diese Informationen dem ehemaligen Oberen einer religiösen Bruderschaft, einem der gelehrtesten Priester, einem der geheimnisvollsten Wunderheiler unserer Zeit verdankt.
Im April kam der Roman dann als Buch heraus, allerdings ohne diese Vorbemerkung. Soweit übersehbar, ist also nichts statthafter, als dieses Buch schlicht auch als ein Sachbuch zu lesen. Es handelt offensichtlich von gleich mehreren historischen Persönlichkeiten. Zunächst von dem französischen Heerführer, Marschall von Frankreich, Schutzbeauftragten der Jeanne d'Arc, Mäzen und Kulturförderer, der in einer überraschenden Wendung seines Lebens zum Zaubergläubigen, zum Satanisten und Kindes-Massenmörder wird, dem Graf Gilles de Rais (1404 - 1440). Er soll nach den Gerichtsakten seiner Zeit mindestens 140 Kinder aus der Umgebung seines Schlosses in Ritualen bestialisch ermordet haben. (Mit Gilles de Rais hat sich übrigens auch eine Schrift des Aleister Crowley aus dem Jahr 1930 beschäftigt.)

Was man aus dem Buch von Huysmans zunächst lernt, ist vor allem der Umstand, daß es satanistischen Mißbrauch schon seit dem Mittelalter gibt und derselbe, soweit übersehbar, niemals abgebrochen ist. Das macht die psychiatriehistorischen Untersuchungen plausibler, die Fälle von multipler Persönlichkeitsstörung derzeit ebenfalls mindestens bis in die Frühe Neuzeit zurückverfolgen können.

Der Informant Huysmans' - Joseph-Antoine Boullan

Abb. 1: Joseph-Antoine Boullan
Würde man sich mit der Person des Autors Joris-Karl Huysmans (1848 - 1907) noch tiefergehender beschäftigen, als dies über das Internet derzeit möglich scheint, würde man wohl ein abgerundeteres Bild seines persönlichen Verhältnisses zum Satanismus geben können, als dies im folgenden möglich ist. Aufgrund vieler Angaben im Netz kann aber offenbar davon ausgegagen werden, daß Huysman selbst spiritistische Sitzungen in seiner Wohnung abgehalten hat und in allerlei verwickelt gewesen, was er in seinem Roman beschreibt oder auch nur andeutet.

Bei dem genannten "ehemaligen Oberen einer religiösen Bruderschaft, einem der gelehrtesten Priester, einem der geheimnisvollsten Wunderheiler unserer Zeit" handelte es sich laut Netzangaben um den katholischen Priester, Exorzisten und Satanisten Joseph-Antoine Boullan (1824 - 1893), den Huysmans im Verlauf seiner "Studien" gut kennengelernt hatte. Er wurde der "Dr. Johannes", der ab dem IX. Kapitel des Romans eine Rolle spielt. Im Netz findet sich auf einer Rosenkreuzer-Seite folgendes Zitat eines Briefes von Huysmans vom 19. August 1891 an einen ihm befreundeten Pariser Buchhändler, also aus der Zeit kurz nach Erscheinen des Romans. In ihm ist die Rede von dem Versuch von gegenseitigen okkulten Ferntötungen in einem "okkulten Krieg" zwischen zwei bedeutenden französischen Magiern, was in seinem Roman nur kurz angedeutet wird (zit. n. 3):
Huysmans berichtet in einem Brief über einen "okkulten Kampf" Boullans gegen "seinen Widersacher Stanislas de Guaita" und "dessen Ordre Kabbalistique de la Rose-Croix", den er selbst in Boullans Haus miterlebte:
"Bei Boullan herrscht der reinste Wahnsinn. Aus Paris traf ein Brief von den Okkultisten ein, der uns zur Todesstrafe verurteilte - und die Schlacht sollte drei Tage dauern. Es war Wagram im Leeren! - Angetan mit geistlichen Gewändern, Hostien in der Hand, rang Boullan seine Feinde nieder, unterstützt von einer hellseherischen Schlafwandlerin und Mutter Thibaut - und von mir! Ich hatte besorgt zu sein, daß der Feind die kleine Laura (die Schlafwandlerin) nicht in einen kataleptischen Zustand zu versetzen mochte. Es war so richtig schön! - doch man sah nichts - außer ab und zu die berühmten (dämonenbesessenen?) Sperber, welche sich an die Fenster heranmachen, die aber Pater Misme während des Kampfes überwachte."
Dieser Brief ist ganz im gleichen Tonfall ungläubiger Faszination gehalten wie der Roman selbst. Aber aus späteren Interviews geht hervor, daß diese distanzierte Ungläubigkeit nicht die einzige Haltung Huysmans gegenüber dem Okkultismus geblieben ist. Über den von ihm miterlebten "okkulten Krieg" zwischen Boullan und seinen Gegnern, in dem die Veröffentlichung des Romans selbst schon eine Rolle gespielt haben soll, heißt es (Sphinx-Suche):
Huysmans war allmählich selbst von der Wirklichkeit magischer Vorgänge überzeugt, insbesondere, als er am eigenen Leib astrale Angriffe erlebte -"fluidische Faustschläge" ins Gesicht, die ihn nachts trafen. Die Gemüter erhitzten sich auf beiden Seiten immer mehr. Huysmans schrieb, Boullan gebärde sich wie ein Tiger ... Er rufe St. Michael und die ewigen Richter um Hilfe an und schreie vor seinem Altar laut: "Streckt Peladan nieder!" Aber es traf schließlich Boullan zuerst, der im Januar 1893 plötzlich starb. Für Huysmans bestand kein Zweifel, dass Boullans Tod übernatürliche Ursachen hatte. "Unbestreitbar praktizieren Guaita und Peladan tagtäglich Schwarze Magie", sagte er in einem Interview, "Der arme Boullan hatte dauernd mit bösen Geistern zu kämpfen, die sie ihm fortwährend von Paris sandten ... Es ist durchaus möglich, daß mein armer Freund Boullan einem überaus mächtigen Zauberbann erlegen ist."
Huysmans wird selbst okkultgläubig, bekehrt sich aber später wieder zum Katholizismus

Boullan (links)
An Huysmans wird beobachtbar wie aus "distanzierter Faszination" Gläubigkeit wird. Später bekehrte sich dieser "Literat der Dekadenz" wieder zum Katholizismus (s. a. Logo.at, Phyiologus.de a, b). Über den Freund Huysmans, Boullan heißt es im Netz unter anderem (IGW-Resch-Verlag):
Boullan wurde am 12. September 1848 zum Priester geweiht und wirkte zunächst in der Seelsorge. 1850 ging er nach Rom, wo er zum Doktor der Theologie promovierte und der Kongregation vom Kostbaren Blut beitrat. Ab 1853 schloß er sich der Elsässischen Mission, dem „Maison des Trois Epis“, an. 1854 zerwarf er sich mit der Kongregation in Rom wegen seiner sektiererischen Tätigkeit im Elsaß. Als ein besonderer Vertreter von Mystik und Marienverehrung setzte er sich in der Folge dafür ein, das Wunder von "La Salette", das sich 1846 ereignete, einem breiten Publikum bekannt zu machen. Dabei lernte er am 14. März 1856 die belgische Nonne Adèle Chevalier kennen. Diese galt als religiös-spiritistische Visionärin, deren Eingebungen „übernatürlichen Stimmen“ entstammen sollten. Bollan suchte nun das junge Mädchen für seine leiblichen und spirituellen Bedürfnisse auszunützen, gründete mit ihr den Orden Les Péres de la Réparation und strebte die kirchliche Anerkennung an, die ihm jedoch verwehrt wurde.
Im Mittelpunkt seines pseudoreligiösen Rituals stand zwar der Gottesdienst nach der katholischen Messe, jedoch mit stark sexualmagischen Zügen. So verkehrte Boullan dabei nackt mit der Nonne auf dem Altar. Diese sog. Schwarzen Messen erfreuten sich in den gehobenen Kreisen von Paris einer gewissen Beliebtheit. Boullan und seine Anhänger glaubten, daß die Menschen seit dem Sündenfall Adam und Evas nur durch geschlechtlichen Verkehr mit höheren himmlischen Wesen, wie Engeln, Erzengeln und Heiligen, erlöst werden könnten. Der Skandal wurde perfekt, als am 8. November 1860 die wahrscheinlich von Boullan geschwängerte Adèle eine Totgeburt erlitt. Boullan behauptete allerdings, dies sei die Frucht eines teuflischen Inkubus gewesen. Der Vorwurf, daß er während der Messe am 8. Dezember 1860 ein Kind geopfert habe, konnte vom Gericht nicht nachgewiesen werden. Dennoch wurden Boullan und Adèle zu drei Jahren Haft verurteilt. Im Anschluß daran ging Boullan nach Rom, wo er für einige Monate im Sanctum Officium eingesperrt wurde. Hier schrieb er sein Schuldbekenntnis, das der französische Schriftsteller Joris-Karl Huysmans teilweise literarisch auswertete. 1930 wurde das  Schuldbekenntnis als sog. „rosa Heft“ der Vatikan-Bibliothek übergeben.
An anderer Stelle heißt es über Boullan (Sphinx-Suche):
Es kann sogar als gesichert gelten, daß er ein uneheliches Kind der Nonne bei einer dieser Messen opferte.
Wenn man also davon auszugehen hat, daß Huysmans von dieser Biographie seines Freundes gewußt hat, kann man seinen Roman nur als eine verharmlosende Werbeschrift für den Satanismus lesen. So "sachlich", distanziert, kühl und kritisch er äußerlich auch geschrieben sein mag. Denn der moderne Satanismus wird in ihm ohne Gewalt an Kindern dargestellt.

Der okkulte Gegenspieler dieses Boullan, nämlich der französische Dichter, Rosenkreuzer und Satanist Stanislas de Guaita (1861 - 1897) (engl) ist offenbar im Roman der "Kanonikus Docre" (?), der ab dem V. Kapitel des Romans auftritt, und der im IXX. Kapitel die Schwarze Messe zelebriert. Guaita arbeitete auch mit Gérard Encausse, genannt “Papus” zusammen. Auf Wikipedia heißt es:
In the late 1880s, the Abbé Boullan, a defrocked Catholic Priest and the head of a schismatic branch called the “Church of the Carmel” led a “magical war” against de Guaita. French novelist Joris K. Huysmans, a supporter of Boullan, portrayed de Guaita as a Satanic sorcerer in the novel La Bas.
Um wen es sich bei der "in klerikalen Kreisen wohlbekannten Frau von heute" handelte, würde man wohl nur bei gründlicherem Studium der biographischen Literatur zu Huysmans erfahren. Ein in dem Roman vorkommender okkultgläubiger Astrologe, der sich durch den Dr. Johannes, sprich Boullan, helfen läßt, behauptet von sich, der Astrologe der Kaiserin Eugenie gewesen zu sein. Das wäre dann ebenfalls noch in dem Buch von Stephan Berndt (2011) (siehe frühere Beiträge) zu ergänzen.

Was auffällt, ist, daß in diesem Buch weder die Freimaurerei, noch Leon Taxil erwähnt werden, obwohl doch zur gleichen Zeit Leon Taxil mit ähnlichen "Aufklärungen" viel öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zog (1885 - 1897). Nach "Là-Bas" findet "moderner" Satanismus nur in kirchlichen Kreisen statt, angeleitet von katholischen Priester oder ehemaligen katholischen Priestern. Somit wäre dieses Sachbuch von Huysmans auch noch einmal in Bezug zu setzen zu den gleichzeitigen Veröffentlichungen von Leo Taxil.

___________________
  1. Huysmans, Joris-Karl: Tief unten. Übersetzt und herausgegeben von Ulrich Bossier. Reclam-Verlag, Stuttgart 1994 (englischer Text)
  2. Bossier, Ulrich: Nachwort zu "Tief unten". Reclam-Verlag 1994, S. 351 - 374
  3. Wissende, Eingeweihte und Verschwiegene. Esoterik im Abendland, Zürich 1986 
  4. Bosch, Karl: J.-K. Huysmans' religiöser Entwicklungsgang. Ein Beitrag zum sog. ästhetischen Katholizismus. F. Romer-Verlag, 1920 (251 S.) (Google Bücher)

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