Mittwoch, 5. August 2015

Konrad Lorenz und die "katholische Diktatur"

Mittelalterfreunde sollten sich nicht auf Konrad Lorenz berufen ....

In meinen Eröterungen mit Mittelalter-Freunden hatte ich gerade geäußert:
Österreich hat seinen großen Sohn Konrad Lorenz zu Lebzeiten meistenteils sehr stiefmütterlich behandelt. Er musste für Jahrzehnte nach Deutschland ausweichen, weil er dort mehr Unterstützung für seine Anliegen erhielt als in Österreich.
Und darauf bekam ich gerade die verharmlosende Antwort, dass Konrad Lorenz keine direkt politischen Hintergründe gehabt hätte, dass er eher zu ehrlich und gut gewesen wäre, um sich vorausplanend in dem in Österreich und speziell Wien typischen Daurintrigantenstadl durchzusetzen. Lorenz wäre im Gegenteil in Österreich immer extrem beliebt gewesen und sein Name hätte heute dort immer noch einen guten Klang. Abneigungen hätte es eher aus dem Bereich der unkreativen Apparatschiks im Wissenschaftsbetrieb gegeben, wobei Neid das (traditionell in Österreich) vorherrschende Motiv gewesen sei.

- - - Nun gut, wenn man die Situation von Konrad Lorenz in Österreich so verharmlost, dann will ich doch einmal mit einem auf den Tag genau seit zwei Jahren unveröffentlichten Blogartikel hier ein wenig Nachhilfe-Unterricht betreiben. Natürlich hat die gerade genannte Antwort vor allem den Konrad Lorenz nach 1945 im Blick. Aber auch das wäre ein außerordentlich verkürzter Blick. Im folgenden jedenfalls der genaue Wortlaut meines schon vor zwei Jahren verfassten Blogartikels mit nur ganz sparsamen Einfügungen:

Von den Jesuiten in die Arme des Nationalsozialismus getrieben: Konrad Lorenz

Das "verdammte Jesuitengesindel", die "schwarzen Schweinehunde", die "katholische Diktatur", das "schwarze Regime",

die "Partei-Schweine"

Es war vor allem der schwarze Klerikalismus in Österreich, der Konrad Lorenz dazu veranlasste, den Nationalsozialismus im strahlendsten Licht zu sehen. Und so ging es vielen Menschen. Dies haben die Biographen Taschwer und Föger (1, 2) klar herausgearbeitet und dieser Umstand soll im folgenden Beitrag noch einmal anhand ihrer Biographie dokumentiert werden.

Abb.: Konrad Lorenz
Im März 1936 habilitierte sich Konrad Lorenz an der Universität Wien für die Fächer "Vergleichende Verhaltensforschung und Tierpsychologie". Allerdings wurde die Bestätigung der Habilitation vom österreichischen Unterrichtsministerium ein dreiviertel Jahr hinausgezögert bis Anfang 1937. Der Titel der Lehrbefugnis wurde schließlich abgeändert in "Zoologie mit besonderer Berücksichtigung der vergleichenden Anatomie und Tierpsychologie" (2, S. 60f),
um die weltanschauliche Ablehnung des damaligen Unterrichtsministeriums gegen das Forschungsgebiet des Gesuchstellers zu umgehen,
wie Konrad Lorenz später äußerte. Taschwer und Föger schreiben dazu (2, S. 63):
Unter dem Austrofaschismus mit seinen starken klerikalen Einflüssen war an eine Förderung biologischer Forschungen und zumal vergleichend stammesgeschichtlicher Untersuchungen des Verhaltens, wie sie Lorenz betrieb, nicht zu denken. Waren 1925 noch zwei Biologieordinariate und fünf beamtete Extraordinariate vorhanden, so war davon 1939 nur mehr ein besetztes Ordinariat übriggeblieben. (...) Angesichts des antiwissenschaftlichen und insbesondere: antidarwinischen Klimas in Österreich blickte Lorenz neidvoll nach Deutschland, wo seine Kollegen unter der Regierung der Nationalsozialisten mehr Aufmerksamkeit und Geld bekamen als je zuvor. So stieg das Födervolumen für biologische Forschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft in den Jahren 1932 bis 1939 auf das Zehnfache an. (...) Während also in Österreich die Biologie vom katholisch-faschistischen Ständestaat allenfalls geduldet war, erfuhr sie durch die Nationalsozialisten eine enorme Aufwertung.
Nun, diese Sätze müssen wohl nicht weiter kommentiert werden. Es mögen keine direkt politischen Gründe gewesen sein, die dazu führten, dass Lorenz in Österreich nicht gefördert wurde - weltanschauliche, religiöse - sprich: mittelalterliche - Gründe waren es auf jeden Fall.

1937 - Das antiwissenschaftliche und antidarwinische Klima in Österreich

Im Frühjahr 1937 besuchte Niko Tinbergen mit Familie Konrad Lorenz in Wien. Der Besuch dauerte bis zum Juli. In einem Brief an seinen Vater berichtet er unter anderem (2, S. 74f):
"Interessant sind nicht nur die wissenschaftlichen Gespräche mit Lorenz, sondern auch die politischen. Die Freiheitsbeschränkung hier in Österreich durch die katholische Diktatur ist unglaublich. Wer nicht Katholik ist, ist nichts. Die Lorenzens selbst, von freisinniger Auffassung, sind wegen seines Postens 'katholischer' geworden, aber trotzdem benachteiligt in ihren Möglichkeiten. "

Tinbergen berichtet außerdem nach Hause, dass es nach Lorenz' Meinung im nationalsozialistischen Deutschland mittlerweile wieder große Verbesserungen für die vorurteilsfreie und objektive Wissenschaft geben würde. Während man die Forschung vor einem Jahr noch sehr unter Druck gesetzt hätte, der nationalsozialistischen Ideologie zu folgen, sei dies nun umgekehrt, so Tinbergen an seinen Vater:

"All die hastig entlassenen großen Männer in Deutschland, die nat.-soz. nicht zuverlässig waren, sitzen plötzlich wieder fest im Sattel, die 'Partei-Schweine' sind rausgeworfen worden, und für allerlei Sachen steht Geld zur Verfügung, auch für Arbeit, der der Nationalsozialismus kühl gegenübersteht."

In Österreich hingegen würde die Unterdrückung zunehmen: Lorenz selbst dürfe offiziell keine Tierpsychologie lehren und würde es heimlich unter einem anderen Titel tun. 
Konrad Lorenz ist sich also durchaus bewusst, dass es in Deutschland Druck auf die Wissenschaft gibt, "der nationalsozialistischen Ideologie zu folgen". Und er steht diesem Druck - wie ja hier klar zum Ausdruck gebracht wird - nicht positiv gegenüber. Nein, er spricht von "Partei-Schweinen", die diesen Druck ausüben. Und er spricht von - offenbar ihm wertvoller - "Arbeit, der der Nationalsozialismus kühl gegenübersteht". Es wäre noch einmal herauszuarbeiten, um welche es sich dabei gehandelt hat aus Sicht von Lorenz.

Schon dies zeigt jedenfalls, dass Konrad Lorenz dem Nationalsozialismus und der Partei-Bonzokratie niemals unkritisch gegenüber gestanden hat. Er hat sich schlicht durch alle Regime hindurchgemogelt und sich auf seine Wissenschaft konzentriert und sie weiter entwickelt. Wie ja auch schon aus dem Satz hervorgeht, dass die Familie Lorenz "katholischer" geworden sei. So wurde sie eben 1938 "nationalsozialistischer" und 1945 "demokratischer" als es Lorenz von seinem rein wissenschaftlichen Standpunkt her für sich getan hätte, wenn es nur auf diesen angekommen wäre.

So wie sich Lorenz in die Graugans hineinversetzen konnte, so konnte er sich auch in den typischen katholischen, NS- oder Demokratie-Bonzen hineinversetzen und ihm nach dem Munde reden. Wer hätte daran Zweifel?

Als die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin Gutachten von Wiener Wissenschaftlern über Konrad Lorenz wünschte, wurden die fünf von diesen erstellten Gutachten unter anderem zusammen gefasst mit den Worten (2, S. 76):
Gerade auch die nationalsozialistischen Kreise würden für Lorenz eintreten, "während er auf der anderen Seite schon durch seine tierpsychologischen Forschungen von der gegenwärtigen Regierung in Österreich nicht gefördert wird".
Auch dies bedarf keines Kommentars.

1938 - Erleichterung über den Anschluss, weil man das "verdammte Jesuitengesindel", die "schwarzen Schweinehunde" los ist

Zwei Wochen nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich jedenfalls schreibt Konrad Lorenz an seinen Freund und Förderer Oskar Heinroth in Berlin - und dass die Worte wie oben schon "emotional" herüberkommen, dafür kann der Blogautor "leider" nichts (1, S. 65; 2, S. 78; Hervorhebung nicht im Original):
Wir sind alle noch leicht besoffen von den Ereignissen der letzten 14 Tage, es ist absolut unvorstellbar, dass es nur so wenige Tage sind! Sie können sich keine blasse Vorstellung davon machen, welche Begeisterung hier herrschte und selbst jetzt noch herrscht, in welcher Ausnahms- und Feststimmung selbst so unpolitische Menschen wie wir sind! Wie ich in Berlin oft sagte: Man muss 5 Jahre lang unter der Regierung der schwarzen Schweinehunde gestanden haben, um ein "Deutschland Erwache" in seinem Inneren mit der vollen Intensität zu erleben. Ich glaube, wir Österreicher sind die aufrichtigsten und überzeugtesten Nationalsozialisten überhaupt! Man muss im Grunde genommen den Herren Schuschnigg und Konsorten dankbar sein, denn ohne ihre unbeabsichtigte Hilfe wären die faulen und ihrem Nationalcharakter nach besonders meckerbereiten Österreicher lange nicht so schnell, gründlich und nachhaltig zu Hitler bekehrt worden. Und das sind sie jetzt wirklich und zweifellos!
Müssen diese Worte noch kommentiert werden? Nicht Hitler hat Konrad Lorenz von Hitler überzeugt, sondern: Schuschnigg und Konsorten!! Dass man von dem Regen in die noch viel schlimmere Traufe kam, wurde natürlich angesichts solcher Alternativen völlig vergessen. Konrad Lorenz schrieb (1, S. 82; 2, S. 80):
Für Wissenschaftler ist es eine Erlösung, nun zu dem großen Deutschland zu gehören statt zu dem verdammten Jesuitengesindel! (...) Man muss offenbar so richtig unter der schwarzen Sache gelitten haben, um den Wert Hitlers voll zu begreifen. Die bereits vollzogenen Umwälzungen auf der Universität sind dermaßen eindeutig zum Guten, dass man geradezu auf eine neue Glanzperiode unserer verstümmelten Fakultäten hoffen kann!!
In seinem Gesuch zur Aufnahme als Mitglied der NSDAP schreibt er unter anderem (1, S. 79; 2, S. 84):
Ich war als Deutschdenkender und Naturwissenschaftler selbstverständlich immer Nationalsozialist und aus weltanschaulichen Gründen erbitterter Feind des schwarzen Regimes (nie gespendet oder geflaggt) und hatte wegen dieser auch aus meinen Arbeiten hervorgehenden Einstellung Schwierigkeiten mit der Erlangung der Dozentur.
An anderer Stelle sagte er (1, S. 117; 2, S. 96):
Die paar Jahre katholischen Regimes waren uns allen sehr gesund! Man muss in der damaligen Zeit die typischen Argumente der Gegner gehört haben, um die grundsätzliche und ursächliche Verflochtenheit von Nationalsozialismus und Entwicklungsgedanken voll zu erfassen.
Also es ist ganz und gar unbezweifelbar, das "katholische Regime" trieb Konrad Lorenz und viele Menschen, die so "freisinnig" dachten wie er, geradezu mit Gewalt in die Arme des Nationalsozialismus. Damit soll Konrad Lorenz keineswegs entschuldigt werden. Aber der Blick auf ihn wird doch ein wenig differenzierter, wenn man diesen Umstand mit berücksichtigt.

Dieser Blogartikel war bisher noch nicht veröffentlicht worden, weil die Biographien mit ihm noch keineswegs vollständig ausgewertet worden sind. Aber als Stoff zum Nachdenken und Weiterdenken wird das Bisherige wohl schon reichen.
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  1. Föger, Benedikt; Taschwer, Klaus: Die andere Seite des Spiegels. Konrad Lorenz und der Nationalsozialismus. 2001 (Google Bücher)
  2. Taschwer, Klaus; Föger, Benedikt: Konrad Lorenz. Biographie. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2003 (Google Bücher

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